Strategische Perspektiven September 2021
Die schönen Kurssteigerungen und die großen Unsicherheiten
Dem schweren Rückschlag im Frühjahr 2020 folgte bis zum Sommer 2021 eine längere Phase ziemlich stetiger Kurssteigerungen. Gestützt wurde diese Entwicklung durch die kräftige Erholung der Wirtschaft nach dem vorangegangenen coronabedingten Absturz.
Ist das jetzt vorbei? In diesem August brachte Freitag der 13. gleich zwei recht unterschiedliche Nachrichten. Der DAX überschritt erstmals in seiner Geschichte die Marke von 16.000 Punkten, und aus den USA kam die angesichts der gegenwärtigen Konjunktur eher unerwartete Meldung eines stark rückgängigen Verbrauchervertrauens, zunächst einmal in Michigan. Aber die Reihe der schlechten Nachrichten wurde rasch länger. Auch aus New York wurde eine schlechtere Stimmung der Unternehmer gemeldet, die letzten chinesischen Produktions-daten blieben hinter den Erwartungen zurück, und auch in Europa gab es in einigen Ländern eine Verschlechterung der Stimmung sowohl der Konsumenten als auch der Unternehmen. Das alles kam an den Börsen gar nicht gut an.
Außerdem gibt es ja weiterhin so manche Unsicherheiten: Die völlige Unklarheit darüber, wie es mit Corona weitergeht, im Zusammenhang damit oder auch unabhängig davon ein befürchtetes baldiges Ende der Konjunktur, die Inflation und deshalb auch allfällige Zinserhöhungen durch die großen Notenbanken FED und EZB und nicht zuletzt die enorm gestiegene Staatsverschuldung. Das alles bietet reichlich Risken, auch für das weitere Geschehen an den Börsen. Gehen wir diese Faktoren der Reihe nach durch.
Zunächst einmal: In den aktuellen Prognosen sowohl für die USA als auch für die EU wird für das nächste Jahr anhaltendes wirtschaftliches Wachstum erwartet. Auch sind die Auftragsstände derzeit hoch und können viele Aufträge nur wegen fehlender Bestandteile – wie etwa Chips - nicht ausgeführt werden. Daher sollte eigentlich allein schon ein Ende der zuletzt eher häufigen Unterbrechungen der internationalen Lieferketten für zusätzliche Impulse sorgen. Dazu kommen die umfangreichen Programme zur Verbesserung der Infrastruktur in den USA und zur Förderung klimaschonender Investitionen in der EU.
Leider könnte eine neuerliche Corona -Welle einen Strich durch diese Rechnung machen. Allerdings vertritt die Mehrheit der Virologen die Meinung, dass eine möglichst hohe Impfquote das Schlimmste abwenden könnte. Das eher überraschende Ergebnis in England, wo das Ende so ziemlich aller Restriktionen nicht zu einer neuerlichen Welle geführt hat, wird nicht zuletzt auf die hohe Impfquote zurückgeführt. Für die Politik sind unterschiedliche Regelungen für Geimpfte und Ungeimpfte ein heikles Problem, aber für die Konjunktur wäre der hoffentlich mögliche Verzicht auf einen neuerlichen allgemeinen Lockdown ein Segen.
Per Saldo meinen wir, dass mit einer Abschwächung, aber nicht gleich mit einem Ende des zuletzt recht hohen wirtschaftlichen Wachstums gerechnet werden sollte. In konkrete Investitionsüberlegungen übersetzt, bedeutet das zunächst einmal nur, gegenüber zyklischen Aktien etwas zurückhaltender zu werden.
Kommt jetzt eine höhere Inflation?
Die Preissteigerungen sind in den letzten Monaten höher ausgefallen als allgemein – auch von uns – erwartet. Die Gründe dafür sind jedoch mehrheitlich nicht nachhaltig. Einer der wichtigsten ist unabhängig von Corona, nämlich die starke Steigerung des Ölpreises im Vergleich zum Vorjahr. Mehr als die Hälfte der Preissteigerungen ist allein der Erhöhung der Energiepreise geschuldet. Dazu ist gekommen, dass der neuerliche rasche Anstieg der Nachfrage nach dem Ende des scharfen Absturzes die Produzenten auch vieler anderer Rohstoffe wie z.B. Kupfer und Eisenerz dazu gebracht hat, die Preise kräftig anzuheben. Außerdem gab es wiederholte Störungen der Transportwege und damit eine Verknappung des Angebotes vieler Waren, nicht zuletzt deshalb, weil die Chinesen wiederholt wegen einzelner Coronafälle große Seehäfen mit Hunderten auf Verladung wartenden Schiffen komplett haben sperren lassen.
Die Bedeutung des Ölpreises wird übrigens auch in der Entwicklung der österreichischen Verbraucherpreisindizes sichtbar. Die nachstehende, bereits auch in mehreren Tageszeitungen veröffentlichte Graphik macht deutlich, dass die Inflationsrate nicht zuletzt durch die Verteuerung des Ölpreises verursacht worden ist.
Nun kann man davon ausgehen, dass sich beim Ölpreis eine derartige Steigerung wie im Vergleichszeitraum von 2020 bis 2021 nicht wiederholt. Dies auch deshalb, weil wegen der hohen Preise eine Reihe von Fracking – Unternehmen in den USA wieder in Betrieb gegangen sind, die damit das Anbot kräftig ausweiten. Auch bei Eisenerz und Kupfer haben sich zuletzt wieder Preisrückgänge eingestellt. Und die eher drastischen Unterbrechungen der internationalen Lieferketten sollten allmählich ein Ende finden.
Ohnedies fallen die Preissteigerungen im Moment in Europa recht unterschiedlich aus. Die Ziffer in Deutschland ist doppelt nach oben verzerrt, erstens durch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer im Jänner 2021 von 16 auf 19 % und zusätzlich durch Einführung einer CO2 - Abgabe, ebenfalls ab Jänner. Deutschland mit eingerechnet, lag die Inflationsrate im Juli in der EU bei 2,2 %, ohne Deutschland wären es nur 1,8 % gewesen.
Fasst man all das zusammen, dann ist in Europa mittelfristig ein Anhalten der gegenwärtigen Inflationstendenzen eher unwahrscheinlich. Längerfristig sieht es anders aus, aber darauf kommen wir noch. Derzeit jedenfalls lässt sich ein besonderer Handlungsdruck auf die EZB weder aus der aktuellen Inflationsrate noch aus den Erwartungen ableiten. Die EZB hat auch klar gemacht, auf absehbare Zeit nicht von ihrer ausgeprägten Niedrigzinspolitik abweichen zu wollen. Für europäische Aktien ist das eine gute Nachricht. Schließlich hängen Börsen-kurse nicht nur von der Konjunktur ab, sondern auch von der Geldversorgung durch die Notenbanken und der letztlich davon abhängigen Höhe der Zinsen.
Und was geschieht mit den Zinsen?
In den USA ist die Situation eine andere. Zwar wurde allein im Juli fast eine Million Arbeitsplätze (wieder) geschaffen, und die Zahl der offenen Stellen hat mit gut 9 Millionen einen neuen Rekordwert erreicht. Allerdings ist auch die Inflation stärker gestiegen als in Europa und hat im Sommer sogar die 5 % - Marke überschritten. Das hat erstens viele Konsumenten veranlasst, bei der Anschaffung langfristiger Konsumgüter auf die erhoffte Abschwächung der Preissteigerungen zu warten, und zweitens auch innerhalb der FED eine Debatte ausgelöst. Einige Mitglieder des Board der FED meinten öffentlich, eigentlich könne man schon heuer mit einer Zinserhöhung beginnen. Aber die dadurch ausgelöste Nervosität an den Bösen legte sich wieder, als Powell, der Chef der FED erklärte, auch er erwarte einen Rückgang der Inflationsrate, und eine restriktivere Linie sei außerdem noch von weiteren Fortschritten auf dem Arbeitsmarkt abhängig.
Die aktuellen Schätzungen für die Inflationsrate in den USA zum Jahresende liegen tatsächlich deutlich niedriger und belaufen sich auf nur mehr 2,8 %. Für 2022 sollen es noch weniger sein. Trotzdem hat der Markt ungeachtet der beruhigenden Erklärung von Powell schon begonnen, mit einer ersten geringen Zinsanhebung bereits im Herbst oder spätestens im Frühjahr 2022 zu rechnen, was in sinkenden Anleihekursen zum Ausdruck kam.
Allein schon die Ausgangsbasis der Debatte ist freilich eine andere, nachdem schon jetzt auf dem Anleihemarktunterschiedliche Zinsen gelten. Vergleicht man die aktuelle Rendite von 10 – jährigen Staatsanleihen Deutschland einerseits und der USA andererseits, so kommt man aktuell auf eine Zinsdifferenz von fast 1,8 %, konkret zwischen Minus 0,45 und Plus 1,33. Das hatte übrigens auch ganz andere Folgen. Die wichtigste ist eine Verlagerung von Kapitalinvestitionen aus der EU in Richtung USA. In der Folge ist der Kurs des Dollars gegenüber dem Euro gestiegen. Da die Zinsdifferenz zumindest nicht kleiner werden wird, ist weiterhin mit einem vergleichsweise starken Dollar zu rechnen.
Die Politik der Notenbanken und die längerfristigen Folgen
Die Niedrigzinspolitik der EZB hat allerdings auch ihre Nebenwirkungen, positive und negative. Eine besonders ins Gewicht fallende wird in der nachstehenden Graphik sichtbar
Trotz der enormen Zunahme der Verschuldung, über die wir ja bereits ausführlicher berichtet haben, ist die relative Belastung der einzelnen Budgets sogar gesunken.
Diese Entlastung ist mit viel Aufwand erkauft worden. Im vergangenen Jahr sind rechnerisch rund 100 % der gesamten europäischen Staatsanleihen von der EZB aufgekauft worden. Selbst bei deutschen Bundesanleihen sind mehr als 30 % des begebenen Gesamtvolumens auf diese Weise stillgelegt. Dazu kommen gut 10 %, die von der deutschen Bundesfinanzagentur gehalten werden, und weitere knapp 20 % befinden sich in den Händen ausländischer Zentralbanken und Staatsfonds, wo sie als Devisenreserven dienen. Und von Unternehmensanleihen des deutschen Marktes, die mit der Bonitätsstufe Investment Grade ausgezeichnet sind, gehören der EZB auch schon 30 %.
Das heißt im Klartext, dass selbst von deutschen Bundesanleihen, deren erstklassige Bonität außer Zweifel steht, der private Kapitalmarkt nicht einmal die Hälfte des Volumens aufgenommen hat, und mehr als die Hälfte in einem komplexen Geflecht gelandet ist, das aus Programmen der EZB, aus Operationen der deutschen Bundesfinanzagentur und aus den Wünschen ausländischer Zentralbanken nach Devisenreserven in Fremdwährung zusammen-gesetzt ist. Die Stabilität dieses Netzwerkes scheint auf den ersten Blick unerschütterlich zu sein, aber Garantie gibt es dafür keine.
Die massive Unterstützung der EZB hätte den Staaten der EU eigentlich Zeit und Gelegenheit geben sollen, ihre Finanzen in Ruhe und ohne Druck wieder in Ordnung zu bringen. Genau das ist aber, mit der erwähnenswerten Ausnahme Griechenlands, nirgends auch nur in Ansätzen geschehen. Längerfristig lässt sich die bisher stetig steigende Lücke zwischen Ausgaben und Einnahmen nur durch kräftiges Wirtschaftswachstum oder aber durch nicht minder kräftige Inflation verringern. So oder so wären auch energische Sanierungsmaß-nahmen erforderlich, aber danach sieht es derzeit nicht aus.
Selbst unter Wissenschaftlern herrscht Uneinigkeit, ob und wie lange, bzw. unter welchen Voraussetzungen eine solche Politik durchzuhalten ist. Wir haben dazu eine eigene Meinung, und die stützt sich auf historische Erfahrungen. Eine solche Politik steigender Staatsverschuldung ist sehr lange durchhaltbar, solange der jeweilige Währungsraum über einen Außenhandelsüberschuss verfügt und daher die Nachfrage nach seiner Währung höher ist als das Angebot. Im umgekehrten Fall wäre das Angebot einer Währung höher als die Nachfrage, und ein Überschuss an Angeboten führt immer und überall zu sinkenden Preisen, auch einer Währung. Das schlimmste Beispiel ist die deutsche Hyperinflation der zwanziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts: Deutschland brauchte zur Bezahlung der Schulden aus dem Versailler Vertrag fremde Devisen, konnte solche aber nicht über Exporte vereinnahmen. Die Folgen waren furchtbar.
So weit muss es nicht kommen. Aber vorausschauend sollte man sich bewusst sein, dass die jetzige Politik der europäischen Staaten und ihre Unterstützung durch die Niedrigzinspolitik der EZB nur solange möglich ist, solange die europäische Wirtschaft für Außenhandelsüber-schüsse sorgen kann. Es bleibt zu hoffen, dass sich die Politik der EU und die der einzelnen Staaten der unbedingten Notwendigkeit anhaltender Konkurrenzfähigkeit bewusst ist.
Von den vielen weiteren Problemen einer derartigen Politik sei nur eines noch besonders herausgehoben: Die Politik der westlichen Industriestaaten fährt derzeit, in einer Phase relativ kräftigen Wachstums, quasi mit durchgetretenem Gaspedal. Wie groß ist ihr Handlungsspielraum, wenn es zu einer neuerlichen Wirtschaftskrise, aus welchem Grund immer, kommen sollte?
Und was bedeutet das alles für Investoren?
Fassen wir die bisherigen Überlegungen zusammen. Vom großen Unsicherheitsfaktor Corona einmal abgesehen, ist eine Fortsetzung der derzeitigen Konjunktur ziemlich wahrscheinlich, sei es auch allenfalls mit etwas niedrigeren Wachstumsraten. Ebenso wahrscheinlich ist ein Rückgang der Inflation, wobei freilich das bisherige Niveau nahe der Null – Grenze kaum mehr erreicht werden wird, aber selbst eine Preissteigerungsrate von um die 2 % sollte keine dramatischen Folgen haben – mit einer Ausnahme: Bei einer solchen Steigerungsrate und gleichzeitiger Beibehaltung der derzeitigen Zinspolitik der EZB sinkt die Realverzinsung so deutlich ins Negative, dass konventionelle Sparformen wie etwa Sparbücher immer weniger Vermögenserhalt gewährleisten können.
Und auch Anleihen sind in einem solchen Klima kein besonders sinnvoller Ausweg mehr. Sie behalten ihren defensiven Charakter und reduzieren, entsprechende Bonität vorausgesetzt, das Risiko stärkerer Schwankungen des Portfolios, aber Werterhalt ist damit auf absehbare Zeit nicht verbunden.
Derzeit spricht alles für Aktien. Es gibt übrigens derzeit in den USA einen Richtungsstreit über die dabei zu verfolgende Linie, der viel Aufmerksamkeit findet. Und zwar zwischen Richard Burry, der an der seinerzeitigen Hypothekenkrise enorm verdient hat, weil er als einer der ganz wenigen rechtzeitig short gegangen ist, und einer neuen Staranalystin namens Cathie Woods, die in den letzten Jahren durch die Konzentration ihres Portfolios auf innovative High – Tech- Unternehmen wie etwa Tesla hohe Gewinne eingefahren hat (und für Bitcoin einen Kurs von 500.000, -- Dollar prognostiziert hat), deren Gewinne allerdings zuletzt ziemlich stagniert haben. Burry mahnt zur Vorsicht, Woods meint, er unterschätze die Bedeutung und die Chancen der neuen Technologien. Wir halten es lieber mit Burry. Wir schätzen zwar auch die Chancen der neuen Technologien hoch ein. Für hoch, und etwas zu hoch, halten wir allerdings auch die Risken enorm hoher Kurse und damit enorm hoher Bewertungen.
Die Aktien, die wir wie üblich zum Abschluss unserer Perspektiven dem näheren Anschauen empfehlen, zeichnen sich daher auch durch niedrigeres Risiko und günstigere Bewertung aus.
Das gilt insbesondere für die Hornbach Baumärkte, die nach dem Lock Down von einer enorm gesteigerten Nachfrage profitiert haben und in Zukunft sowohl von den zunehmenden Einsparzwängen eines guten Teils der Bevölkerung als auch von dem durch Home-Office flexibler gewordenen Freizeitverhalten profitieren sollten. Ein Kurs – Gewinnverhältnis von derzeit unter 8, und eine Effektivrendite von derzeit 2,6 % sind ebenfalls starke Argumente. Dermapharm ist derzeit ein großer Profiteuer der mRNA – Impfstoffe. Das Unternehmen hat das Know How der Produktion für einzelne Bestandteile, und für eine Reihe weiterer Produkte bis hin zu Nahrungsergänzungspräparaten, hat also als Zulieferer geradezu eine Schlüsselstellung. Und trotzdem liegt das aktuelle KGV mit 26 hinter dem anderer Unternehmen der Branche noch deutlich zurück. Auf Aurubis haben wir wegen der Schlüsselrolle dieses Unternehmens im Kupfermarkt schon hingewiesen. Seit kurzem liegt der Bericht über die vergangenen Neun Monate vor, in diesem Zeitraum hat das Unternehmen quasi nebenher auch noch 40 Tonnen Gold (die Ziffer wurde uns nach Rückfrage vom Unternehmen ausdrücklich bestätigt) gewonnen. Wer an Aurubis beteiligt ist, ist somit auch gleich an einem nicht allzu kleinen Goldbergwerk beteiligt. Die IT – Branche wollen wir auch nicht ganz unerwähnt lassen und verweisen auf Bechtle. Dieses größte IT – Systemhaus Deutschlands genießt weit weniger Aufmerksamkeit als etwa SAP oder die US – Giganten, rechtfertigt aber durch das anhaltend kräftige Gewinnwachstum das relativ hohe KGV von 36.